Pressespiegel

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Transport Test/Technik  21. September 1995

Sprinter mit Sattel           MB 312 D Miniliner-Sattelzug im Transport-Test

rp. Minisattelzüge sind für Spediteure interessant, die sperrige und leichte Güter transportieren wollen, denn theoretisch sind Aufliegerlängen  bis 12 Meter denkbar. Erst recht dann, wenn sie vom Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) freigestellt operieren müssen.

Der Sprinter bringt nicht nur Qualitäten als Kastenwagen mit, er bewährt sich zudem vortrefflich als Sattelzugmaschine. Beim Abholen des Minisattelzuges mit Sprinter-312D Zugmaschine bei den Fahrzeugbauern in Butzen in der Nähe von Cottbus, mußten wir erstmal unsere Kinnlade gut festhalten. Die erste Sprinter-Sattelzugmaschine auf dem deutschen Markt mit Doppelkabine und 4,03 Meter Radstand vor einem 3,4 Meter hohen, 2,3 Meter breiten und 8,6 Meter langen Auflieger - ohne Spoiler auf dem Dach - sah aus wie ein Fiat Uno, der ein Einfamilienhaus hinter sich herschleppen will. Kann das funktionieren? Und wie das funktioniert. Wider jede Vernunft und mit Ausnutzung der vollen Motorleistung lassen sich auf der Autobahn Durchschnittsgeschwindigkeiten über 80 km/h streßfrei realisieren. Mit der kürzesten lieferbaren Achsübersetzung von 4,86:1 dreht sich die Kurbelwelle bei 85 km/h genau 2.600 Mal in der Minute. Bei dieser Drehzahl befindet sich der Motor hinter seinem Drehmomentmaximum. Bei zunehmendem Fahrwiderstand wie beispielsweise an Steigungen kann das Triebwerk bei fallender Drehzahl noch Drehmoment zulegen. Erst bei Drehzahlen unter 2.000/min muß der Fahrer in den nächsten Gang herunterschalten. Außerdem gönnt sich der DELA-Motor bei Autobahnmarschtempo weniger als 216 Gramm/kWh Kraftstoff. Die Achsübersetzung ist somit goldrichtig gewählt. Daß die Butzener Fahrzeugbauer ihrer Neukonstruktion keinen Luftleitkörper mit auf den Weg geben ist keine Nachlässigkeit. Es gibt noch keinen Spoiler für die Doppelkabine. Mit 2,3 Tonnen Last mußte sich der Miniliner über eine 284,5 Kilometer lange Strecke hetzen lassen, die aus einer Autobahnetappe, zwei verschieden schweren Landstraßenrunden, einer Stadt- und einer Peripherierunde besteht. Beim Verteilertest scheidet sich jeweils auf der 76 Kilometer langen Etappe „Schwere Landstraße“ die Spreu vom Weizen. Mit vier langen Steigungen über zehn Prozent, sechs Bergen über sieben Prozent und unzähligen kleineren, gleicht die Strecke einer Achterbahn. Hier zeigt sich nicht nur die Leistungsfähigkeit des Triebwerks, sondern auch wie sicher das Fahrwerk eine Kurve nach der anderen nimmt, also wie wenig Angst der Fahrer beim Ausloten des Grenzbereichs hat. Die Fahrweise entspricht den Gegebenheiten der Praxis: Es wird gefahren was die Karre hergibt.
Am Auflieger hatten die Butzener für ihren Kunden alles montiert was gut und teuer ist: Ein Sesam-Schiebedach und Schiebeplanen rechts und links. Mittels einer Handkurbel wird die Seitenplane über jeweils ein Schneckengetriebe entweder vorn oder hinten horizontal gespannt oder geöffnet. An der Innenseite der Plane eingenähte Fangringe ermöglichen außerdem die Schnellspannung in vertikaler Richtung ebenfalls über handkurbelbetätigte Schneckengetriebe. Zwei abklappbare und oben aushängbare Stehrungen bieten freien Zugang zur gesamten Ladefläche. Den größten Zeitaufwand verlangt das Herausnehmen der Einstecklatten  oben und der Bordwandstecklatten aus Alu. Insgesamt ist eine Seite in knapp drei Minuten der ganze Auflieger samt Dach in 7,5 Minuten offen.
Selbst bei voll beladenem Auflieger kann mit der abklappbaren Kurbelstütze mühelos ab- und aufgesattelt werden. Leer wiegt der gesamte Zug 4.330 Kilogramm und trägt damit fast 3,2 Tonnen Nutzlast. 2.200 Kilogramm kommen auf das Konto des Aufliegers und 2.130 auf das der Zugmaschine. Die Länge von 8,6 Meter ist auch nur auf Wunsch des Kunden entstanden. Bis zur am häufigsten produzierten Länge von 8,1 Meter (16 Paletten) ist eine Nutzlast von 3,5 Tonnen nach Aussagen der Butzener ohne weiteres drin. Viel lieber würden die Fahrzeugbauer aus den neuen Bundesländern den angekündigten Sprinter mit 4,6 Tonnen Gesamtgewicht verbauen, da er statt 2.240 Kilogramm Hinterachslast 3.200 Kilogramm trägt. Domäne der Minisattelzüge sind Einsätze bei denen mit mehreren Auflieger und leichten Gütern von Depot zu Depot gependelt werden kann. Der abgestellte volle Auflieger kann mit einem leeren oder vorkommissionierten anderen Auflieger getauscht werden. Anschließend tritt die Zugmaschine ohne Zeitverlust die Rückfahrt an. Für Betriebe im Baunebengewerbe werden vormontierte Bauteile und Anlagen somit ohne die Anschaffung von dreiachsigen Lkw oder 40-t-Zügen transportierbar.
Der Clou des Ganzen ist aber die Bremsanlage des Minisattels. Bei der Bremsansteuerung des Aufliegers wird bei der Lösung der Butzener das Hydrauliksystem des Zugwagens nicht geöffnet. Ein auf dem Bremspedalhebel aufgesetztes Ventil bemißt den Bremsdruck zum Anhängersteuerventil. Bei geöffneten Hydraulikbremsanlagen bereitet nämlich das Pulsieren des ABS Probleme, das die Anhängerbremsluft ebenfalls zum Pulsieren bringt. Was bei geöffneten Bremsanlagen aber noch schwerer wiegt, ist das Erlöschen der Garantie des Fahrgestellherstellers. Der Komfort in der Kabine, der Pkw-Standard entspricht, sollte auch einer Sattelzugmaschine genügen. Der mechanisch gefederte ISRI-Schwingsitz bietet mit Fünfhebelwerk Einstellpositionen wie ein 18-Tonner. In die Verkleidung eingearbeitete Armauflagen sind breit genug selbst für kräftige Unterarme und für den linken Fahrerfuß eine angewinkelte Ausruhstütze vorgesehen. Riesige Sonnenblenden in großem Abstand vom Kopf schirmen auch bei schräg einfallenden Sonnenstrahlen Blendeffekte ab und lassen kein Gefühl der Enge aufkommen. Nur die Raucher unter den Chauffeuren werden stiefmütterlich bedacht. Der Aschenbecher sitzt sehr tief, am Fuß der Mittelkonsole und ist nicht beleuchtet. Verschiedene Beifahrer bemängelten bei waghalsigen Testfahrten das Fehlen eines Haltegriffs. Dafür wird diesem aber die Organisation des Kaffeeausschanks denkbar leicht gemacht. Drei vertiefte Schalen im aufgeklappten Handschuhfachdeckel nehmen Kaffetassen aller Größen auf und liegen absolut waagerecht „im Wasser“.